2. Herrschaftszeiten / Bauerngasse

zusätzliche Informationen zu Tafel 2:

Sommerfrust statt Sommerfrische

(Geschichten aus dem Bellenberger Schloss)


Der zweite Teil unserer Zeitreisen führt uns in das Jahr 1795. Während an der Grenze der erste Koalitionskrieg mit dem revolutionären Frankreich ausgefochten wird, ist es im beschaulichen Bellenberg – noch – ruhig. Erst1799 werden die französischen Truppen die Bellenberger Sakristei plündern. 

Das Dorf besteht aus 71 Anwesen, wovon 63 dem 60-jährigen Baron Philipp Adolf von Herman gehören. Gut zehn Jahre zuvor hatte dieser den Rechberger Anteil von Bellenberg erworben, ein nagelneues Schloss bauen lassen und schließlich auch noch den Laupheimschen Besitz dazugekauft. Bellenberg war nach über 200 Jahren also wieder so gut wie vereint.


Wie der Baron zu soviel Geld gekommen war, schildert dessen Neffe, der Freiherr Friedrich von Lupin auf Illerfeld höchst amüsant im ersten Band seiner vierteiligen Biografie.

„Friedrich Freiherr von Lupin auf Illerfeld (1771-1845)“

Benedict Hermann, der Onkel des Bellenberger Barons Philipp Adolf, war ein reicher Kaufmann aus Memmingen. Er war sogar so reich, dass er als der erste Guldenmillionär Schwabens gilt. Allerdings war er arm an Kindern, weswegen er in seiner weitläufigen Familie nach einem geeigneten Erben Ausschau hielt. Der engste Vertraute des Benedict Hermann war der Vater eben jenes Friedrich von Lupin. Dieser hatte die Aufgabe, dem 93-jährigen Hermann alle verfügbaren Neffen vorzustellen. Benedict Hermann hatte sich zeitlebens nie um seine Verwandtschaft geschert. Lupin brachte also drei Neffen zum griesgrämigen Benedict, die dieser dann auf ihre kaufmännische Tauglichkeit prüfte. Unser Philipp Adolf schnitt bei diesem Vorstellungsgespräch keinesfalls am besten ab, bekam aber immerhin die 100.000 Gulden vererbt, die für den Kauf Bellenbergs notwendig waren. Zum Vergleich: Sein Bruder Johann Theobald bekam das Fünffache und obendrein das neu erbaute Schloss in Wain.


Lupin (Vater) erhielt als Dank für seine Dienste die Nichte des Benedict, Anna Veronika zur Frau und wurde somit auch ein „Hermann“, wenn auch nicht dem Namen nach. Aus dieser Ehe entstammt der Quellenschreiber Freiherr Friedrich von Lupin.


Das Bellenberger Schloss diente dem Memminger Baron Philipp Adolf von Hermann nunmehr als Sommerresidenz. Er hatte es anstelle des Rechberger Schlösschens bauen lassen, da er mit acht Kindern gesegnet war und demnach viel Platz brauchte. (Unter dieser Betrachtung könnte das Schloss als Bellenbergs erster Kindergarten durchgehen…).


1796: Zwei Töchter des Barons, Benedicta und Felicinde, sind ins heiratsfähige Alter gekommen. Immer öfter ist nun der Vetter, also Friedrich von Lupin, geladen. Dieser hat sich bis dahin sehr platonisch in seine Studien vertieft, ist aber Hermanns Wunschkandidat für die ältere Tochter Benedicta.


Lupin, der in seiner Biographie von sich meist in der dritten Person schreibt, beschreibt die erste Begegnung mit den  beiden Schwestern so: „Benedicta, die ältere, hatte ein sehr gutes und schönes Herz, moralisch und physisch genommen. Felicinde dagegen war hartherzig. Stand der Benedicta, nach einer bekannten Bibelstelle, das Himmelreich offen, verschloss Felicinde dasselbe durch Sprödigkeit.“

In wen verliebt sich Lupin also? Richtig – in die spröde, hartherzige Felicinde. Er kann sich das selber nur so erklären, als dass ihm „Eroberungen wichtiger waren, als zuvor gewonnene Schlachten“.

Selbst als die verschmähte Benedicta, dem Rat der Mutter folgend, sich nun auch hartherzig gegen Lupin verhält, nur um diesem doch zu gefallen, verliebt sich dieser nur noch mehr in die jüngere Schwester. Aber Felicinde ist, wie beschrieben, keine einfache Partie. Als ein Baron von Bobenhausen ihr schöne Augen macht und sie diesen nicht sofort verstößt, fällt Lupin vor „Eifersucht krank darnieder“. Hat er mit Felicinde doch schon die ersten Heiratspläne geschmiedet.

Lupin schreibt, als Zeitgenosse Schillers, Goethes und Wielands, ganz in deren Geist: 

„Der Vater der Eifersucht ist das Mißtrauen, und ihre Kinder sind die Sorgen.“ Nach einer sechstägigen Hirnentzündung verfällt Lupin gar in ein „Schmollen oder Grollen“.

Der Widersacher ist längst verschwunden, aber bevor es zu einer Aussöhnung zwischen dem Freiherren von Lupin und Felicinde kommt, wird es Sommer und Familie Hermann fährt auf ihren Landsitz nach Bellenberg. Zwei bittere Monate verstreichen: Lupin weilt in Memmingen, Felicinde in Bellenberg. Dann erreicht Lupin, der die Angelegenheiten des Onkels verwaltet, eine Depesche aus Bellenberg, er möge doch „Geschäfte halber nach Bellenberg kommen. Dem Officiellen war per Postscript angehängt: Der Vetter möchte seine Arbeit so einrichten, einige Tage über das Geschäft hinaus zuzubringen, damit man ihn auch genieße, worauf sich das ganze Haus im Voraus freue.“ Lupin ist hin- und hergerissen: Verzeihen und Versöhnen oder Schmollen und Grollen? Felicinde geht derweil einsam im Schlossgarten von Bellenberg auf und ab und spricht zu sich selbst: „du hast es doch zu weit mit ihm getrieben. (…) Kommt er nun, ist es billig, ihm zu zeigen, wie ich wirklich bin, nicht trotzig, wie ich scheine.“

Friedrich von Lupin hindessen grübelt noch, als ihn ein Senator von Wachter aufsucht mit den Worten: „Gut, dass ich Sie treffe. (…) Ich wollte Sie fragen ob wohl mein Jahrsbesuch in Bellenberg morgen gelegen komme? Ob der Baron zu Hause und allein sei?“ In diesem Moment siegt in Lupin der Groll der Eifersucht und er antwortet dem Senator: „Wie sich das fügt! Ich soll morgen nach Bellenberg gehen, dem Oheim Geld zu überbringen, er wird mir die Pferde senden, ich kann nicht wohl abkommen, wollen Sie statt meiner das Geld überbringen, schlagen wir mit einer Klappe zwei Fliegen.“ Der Senator willigt erfreut ein. Weiter schreibt Lupin über seine bösen Hintergedanken bei diesem Plan: „Der Senator hatte das Unglück, von der Schlafsucht befallen zu seyn; er konnte oft mitten in einem Gespräche einschlafen, nach einer Stunde aufwachen und da fortfahren, wo er stehengeblieben. Seiner Felicinde eine solche Schlafhaube statt seiner auszuantworten, in diesem Gedanken lagen tausend andere versteckt und verborgen.“


Es kommt also, wie es kommen muss. Felicinde, die den Freiherren mit den besten Absichten sehnsüchtig mit der nächsten Kutsche in Bellenberg erwartet, findet zu ihrer großen Enttäuschung nur „den Senator sanft schlummernd im Wagen“ - Freiherr von Lupin bereut im selben Moment, nicht selbst nach Bellenberg gereist zu sein, kann aber letztlich nicht aus seiner Haut.

Das Ende ist also besiegelt. Als die Hermannsche Familie am Nikolaustag nach Memmingen zurückkommt, hat sich Lupin in die Arme einer anderen Frau geflüchtet. Diese muss er schließlich auch heiraten, weil sie ohnmächtig niedersinkt, als sie die schöne Felicinde erblickt und nun ihrerseits droht, vor Eifersucht zu sterben.,Felicinde zieht zu ihrer Schwester nach Franken und heiratet einen kaiserlichen Hauptmann. So ist es leider nichts geworden mit der Bellenberger Romanze…

Friedrich von Lupin wird schließlich von seinem Onkel noch zwei Jahre als Verwalter von Bellenberg, Wain und Eisenburg eingesetzt. Wie oft mag er wohl noch an jene Kutsche nach Bellenberg gedacht haben, mit der sein Leben wohl anders verlaufen wäre.

Das Schloss in Bellenberg wurde 1786 fertiggestellt und bestand aus 15 heizbaren und vier unheizbaren Zimmern. Das heute noch erhaltene Schloss der Hermanns in Wain stammt aus den Jahren 1780/81 und eine Ähnlichkeit mit Bellenberg lässt sich nicht leugnen – wenngleich das Wainer Schloss wesentlich protziger daherkommt. Wenn auch nichts über den Bellenberger Architekten bekannt ist, so kann man doch annehmen, dass gewisse Arbeiter von Wain nach Bellenberg empfohlen wurden, wenn sie ihr Handwerk gut ausgeführt hatten. Es handelt sich ja um die gleiche Bauträgerfamilie. Das Wainsche Schloss wurde nach den Entwurfsplänen des Münchner Hofarchitekten Lorenzo Quaglio (Lauinger Rathaus, Ausstattung des Zweibrückener Theaters, …) gebaut. Und vielleicht fällt ja ein wenig Glanz davon auf Bellenberg ab. Mutmaßen darf man immer. 

Baron Philipp Adolf von Hermann betrieb leidenschaftlich Archäologie, und Lupin schreibt, dass er zeitlebens viele Gemälde und Antiken ansammelte. Man kann also davon ausgehen, dass ein Teil davon zum Interieur des Bellenberger Schlosses gehörte, wenn der Baron samt Familie jährlich einige Monate dort verbrachte.


Die Biographie des Freiherren von Lupin erschien 1844 in Weimar in vier Bänden. Im ersten findet sich die eben erzählte Begebenheit, im zweiten Band erwähnt er Bellenberg noch kurz im Rahmen seiner Administrationstätigkeit in den Jahren 1796/97. Der Freiherr legt danach noch eine beachtliche Karriere an den Tag, ist 1802 auf der Reichsdeputation - der Neuverteilung Deutschlands - in Regensburg zugegen, wird danach bayerischer Bergkommissar und schreibt mehrere Bücher über Mineralien. König Ludwig I. von Bayern zeigte sich 1829 bei einem Besuch so beeindruckt von dessen Sammlung, dass er ihn in den Freiherrenstand erhob. Der Freiherr von Lupin starb 1845 mit 74 Jahren in Illerfeld bei Memmingen.

„Detail einer Ansichtskarte von 1898“

„Das Wainsche Schloss“

Warum es in Bellenberg keine Vöhlinstraße gibt


Sucht man sie in Illertissen, wird man fündig: Die Vöhlinstraße - benannt nach dem mächtigen Herrschergeschlecht, welches einst auf der Illertisser Burg residierte. Geht man nach Vöhringen, stößt man auch hier auf eine Straße selben Namens. Vöhringen gehörte damals ebenfalls zum Besitz der Vöhlins. Die heutige Zeitreise geht in das späte 16. Jahrhundert - eben jene Zeit, als die Vöhlins in unserem Winkel des Illertales fast alles besitzen. Fast alles, bis auf kleines, knapp 200 Seelen zählendes Dorf – Bellenberg. 

1570 sind die Herren von Bellenberg, das Rittergeschlecht der Ellerbacher, im Mannesstamm ausgestorben. „Nur“ drei Töchter tragen jetzt noch das adlige Blut in sich. Das bedeutet, der Stammsitz der Ellerbacher, Laupheim samt Burg, fällt als Reichslehen zurück an den Kaiser. Das Dorf Bellenberg allerdings ist ein freiadliges Gut, also reichsunmittelbar und kann somit im Besitz der drei Erbinnen verbleiben.

Ein paar Jahre dauert es, bis man sich endlich darüber einig ist, wie man das kleine, aber feine Erbe aufteilen soll. Zu Weißenhorn ziehen unparteiische „Tutoren“ für die drei Damen jeweils ein Los und bestimmen so, welcher Teil Bellenbergs wem zufällt. Die wertvollsten Institutionen des Dorfes, die Mühle, der Burgstall und die Kirche verbleiben im gemeinsamen Besitz.

„Kaiser Rudolf II.“

Eine der drei Töchter, Ursula, heiratet daraufhin den Erbmarschall von Pappenheim. Nun aber läuten im katholischen Schwaben und insbesondere bei den Vöhlins zu Illertissen die Alarmglocken, denn die Pappenheimer sind Calvinisten. Außerdem strebt Philipp von Pappenheim danach, Apollonia, der zweiten, ledig gebliebenen Ellerbach-Tochter, ihr Drittel abzukaufen.

Damit hätte aber auch Karl Vöhlin nur allzugern sein Gebiet arrondiert. Auch das Drittel der verwitweten Ellerbacherin Anna von Freyberg steht bereits auf seiner Einkaufsliste. Anfang 1591 schreibt er also an die beiden Tutoren der Schwestern, sie mögen doch den Besitz an ihn, den Vöhlin, veräußern. Diese lehnen ab.

Karl Vöhlin wendet sich daraufhin an die oberste Instanz: Kaiser Rudolf II. in Prag. Er schildert ihm mit drastischen Worten die Calvinistische Gefahr, welche von den bösen Pappenheimern ausgeht:  „da der Marschall doch nicht in Bellenberg, das kein Haus oder Residenz, zu wohnen begehre, sondern allein sein Vorhaben aus gefasstem Neid und unverdientem Widerwillen gegen ihn zu vollstrecken vermeine, und damit nicht von diesem eine fremde und im heiligen Reich verdammte und verbotene Sekte und Religion stillschweigend eingeführt werde.“

Aber auch der Pappenheimer verfügt über einen guten Draht zum kaiserlichen Hof und so erklärt dieser am 26. Juli 1591, er finde kein Hindernis, um dessen Willen er dem Marschall den Kauf der Teile von Bellenberg verwehren solle.

Karl Vöhlin gibt sich nicht geschlagen und mobilisiert alle ihm zur Verfügung stehenden Kräfte. Er schreibt an die Erzherzöge Ferdinand und Karl, sowie an Kardinal Andreas, den Erzbischof von Konstanz und Brixen, sie mögen sich für ihn einsetzen. Doch der Kaiser lässt abermals verkünden, dass dem Erwerb durch den Erbmarschall von Pappenheim nichts im Wege stünde, „wenn derselbe nur die Versicherung in Religionssachen nichts ändern zu wollen, abgebe.“ Dieser tut es und so gelangt schließlich das Drittel der Apollonia in die Hände der Pappenheimer.

Anna von Freyberg ist inzwischen verstorben und hat ihr Drittel in eine Armen-Stiftung zu Laupheim umgewandelt. Als Karl Vöhlin versucht, wenigstens diesen Part zu bekommen, wird zu Prag explizit beschlossen, dass dieser Anteil in Bestimmung für fromme Zwecke nur nicht an den Vöhlin zu verkaufen ist, da die armen Leute von Bellenberg und Laupheim diese Stiftung sehr nötig hätten. Noch bis 1595 versucht Karl Vöhlin alle Hebel in Bewegung zu setzen, um das Laupheimer Drittel in seinen Besitz zu bekommen – vergebens.


Der historische Verein für Schwaben und Neuburg, welcher diese Vöhlinsche Mühsal 1874 für seine Jahresschrift recherchiert hat, schreibt, dass Karls ganzes Streben nur in der Erwerbung Bellenbergs „concentriert“ gewesen zu sein scheint. Karl Vöhlin starb 1599 mit nur 36 Jahren und hat vielleicht zeitlebens zerknirscht den Umweg über Emershofen genommen (seit 1560 im Vöhlinschen Besitz), um nach Vöhringen zu gelangen.


1740 hatten die Pappenheimer ernsthafte Verkaufsabsichten. Ihre beiden Drittel wollte dann aber keiner haben. Zumindest den Nachkommen von Karl Vöhlin fehlte das Geld...

So gibt es zwar keine Vöhlinstraße in Bellenberg, wohl aber eine Ellerbach-, eine Freiberg- und eine Pappenheimstraße. 

Vielleicht wäre noch eine Kaiser Rudolf II.-Straße angebracht, um schmunzelnd daran zu erinnern, dass unser kleines Dorf auch einmal auf der Tagesordnung der ganz großen Politik gestanden hat.

„Wappen der Ellerbacher“ / „Wappen der Pappenheimer“ / „Wappen der Vöhlin“)


Ein vergessenes Grab und die Bellenberger High Society 


Christliche Friedhöfe gruppieren sich seit alters her um Kirchen. Die Verstorbenen sollen den darinnen enthaltenen Reliquien möglichst nahe sein. Wechselte ein Friedhof einmal seinen angestammten Platz, dann lag das entweder an der Angst vor den sogenannten „mephitischen“ Schwaden der Toten (Mefitis: italische Göttin der übelriechenden Dünste) mitten im Ort, oder daran, dass der Friedhof zu klein geworden war und einfach eine ungünstige Lage besaß, wie im Falle Bellenbergs. Der Hügel behielt nicht immer, was er bekam und so soll es mehrfach vorgekommen sein, dass die begrabenen Bellenberger bei starken Regenfällen knochenweise wieder ans Tageslicht rutschten.


Der Friedhof wurde also verlegt und vergrößert. Ein letztes Grab gibt es noch auf dem ursprünglichen Friedhofsgelände der alten Kirche. Die Ruhestätte besteht aus einem verwittertem Sandstein und einem brüchigem, schmiedeeisernen Gitter als Umfassung. Heutzutage tut man sich schwer, etwas zu entziffern. Wind und Wetter haben die erste Sandsteinschicht abgetragen und nur besonders tief eingravierte Buchstaben sind bruchstückhaft erkennbar. 1963 konnte man, laut Bellenberger Chronik, noch den Namen Sabina M... entziffern, mehr war selbst vor 54 Jahren nicht drin. Weiteres Wissen um das Grab war verloren gegangen. Wer also liegt unter diesem schweren Stein begraben?


Reisen wir diesmal ins Jahr 1830, den 14. September.


Aber zuerst bedarf es einer kleinen Vorgeschichte:

Der Kurfürst von Bayern hatte 1804 dem Freiherren von Hermann ganz Bellenberg abgekauft. Für das Schloss bestand kein Bedarf, denn eine Verwaltung vor Ort war nicht mehr vorgesehen. In mehreren Zeitungen fand sich alsbald die Anzeige: Schloss in Bellenberg zum Verkauf angeboten. Ein Baumwollfabrikant und sogar ein Kirchendiener aus dem Vatikan sollen unter den Interessenten gewesen sein. Den Zuschlag für 27.311 Gulden und 8 ¼ Kreuzer erhielt allerdings der Ulmer Verwaltungsrat Markus Theodosius III. Welser. Welsers(Jahreseinkommen: 800 Gulden.

Dieser hatte genug vom Stadtleben und kaufte sich einen gemütlichen Landsitz. Einen ziemlich großen Landsitz sogar, mit einem Ökonomiegebäude und 55 2/15 Jauchert Acker, 31 3/8 Jauchert Wiesen und 6 ¼ Jauchert Holzgrund (1 bayr. Jauchert = ca. 1/3 Hektar).

Welser bemerkte bald, dass die Bewirtschaftung desselben seine ständige Anwesenheit erforderte. Er ließ sich also von seinem Amt in Ulm entbinden und zog endgültig nach Bellenberg.


Der Familienname Welser ist vielen nicht ganz unbekannt. Daher noch eine kleine Vorgeschichte vor unserer Vorgeschichte: Die Welser stammen aus Augsburg und waren dort die Nummer 2 nach den Fuggern. Auch sie hatten, durch ihren Reichtum und ihr kaufmännisches Geschick, großen Einfluss bei Hofe. Die Familie verzweigte sich dann auf die drei wichtigsten süddeutschen Reichsstädte des 15. Jahrhunderts: Augsburg, Nürnberg und Ulm. Mit den Vöhlins in Memmingen und Illertissen gründeten die Welser eine Übersee-Handelsgesellschaft.

Als sie 1519 dem Kaiser für dessen Wahl Geld geliehen hatten, bekamen sie als Pfand Deutschlands erste Kolonie: Venezuela. Die Welser und ihre Kolonie-Statthalter (meist aus Ulm) sind in Venezuela und Kolumbien heute noch allseits bekannt. In Augsburg erinnert das relativ neue „Fugger- und Welser Erlebnismuseum“ an die große Zeit dieser Familien. Aber diese war 1830 längst vorbei. Der Übersee-Handel hatte die Welser fast in den Ruin gestürzt. Finanziell zwar keine Global Player mehr, zehrten sie aber noch immer vom Glanz ihrer großen Zeit.


Und so ein Welser lebte nun in Bellenberg: Markus Theodosius III.Ein Mann, den die eigene Familiengeschichte äußerst umtrieb. Er sammelte alles, was mit ihr zu tun hatte und schrieb eine ausführliche Chronik seiner berühmten Vorfahren – in Bellenberg. Diese Chronik führte sein Sohn fort und sein Enkel veröffentlichte sie schließlich im Jahr 1917.

Jener älteste Sohn des Markus Theodosius hieß Johann Michael Welser (Bild 1) und kam am 12. August 1808 in Bellenberg zur Welt. Getauft allerdings, wurde er in Balzheim, denn die Ulmer Welser waren Protestanten. Sein Unterricht in der Bellenberger Dorfschule, welche seinerzeit um die 40 Schüler besuchten, wurde vom Vater eifrig ergänzt durch Religion, Geographie, Geschichte, Architekturzeichnen und Modellieren. Der Bellenberger Pfarrer Meitinger gab ihm zusätzlich Lateinunterricht und der hiesige Lehrer Klotz brachte ihm das Spiel auf der Violine bei. Man kann also sagen, dass Johann Michael einer der gebildetsten Dorfjungen seiner Zeit gewesen ist.  


Der Vater bemühte sich, ihn so lange wie möglich auf dem Lande aufwachsen zu lassen. Er sollte möglichst viel frische Luft einatmen und sich bei der Jagd und bei der Gartenarbeit beteiligen. Mit 16 Jahren verließ Johann Michael Bellenberg und ging nach Augsburg auf das Gymnasium. Aber noch oft kehrt er in seinen Geburtsort zurück. Manches Mal, um vom Vater in Familiengeschichte unterrichtet zu werden und dann schließlich in den traurigen Tagen nach dem 14. September 1830. 


Seine 51-jährige Mutter war an diesem Tag unerwartet an einem Schlaganfall gestorben. Vielleicht erahnen Sie schon den Vornamen dieser Frau: Sabina M...agdalena Barbara von Stetten. 

(15.4.1769 – 14.9.1830). Sie war die Tochter des ersten Oberbürgermeisters der bayerischen Stadt Augsburg: Albrecht von Stetten.


Johann Michael Welser schreibt über seine Eltern: Meine Mutter war zweiJahre älter als mein Vater und sie hing diesem, „ungeachtet seiner heftigen Gemütsart und seines oft sehr strengen Wesens mit unendlicher Hingebung an. Zwei von drei Kindern, die sie geboren, betrauerten ihren Heimgang. Sie ruht auf dem Kirchhofe zu Bellenberg.“

Also eine Wahl-Bellenbergerin von Rang und Namen. Ihr Sohn Johann Michael wird schließlich nach dem Aussterben der Ulmer und der Nürnberger Linie oberster Vertreter der Familie Welser. Als Jurist zieht er nach Nürnberg und steigt dort zum Direktor des königlichen Handels-Appellationsgerichtes auf. 1875 ist er in Nürnberg gestorben. 


Sein Vater Markus Theodosius III. Welser hielt es ganze 44 Jahre in Bellenberg aus. In Illertissen kümmerte er sich um das dortige Archiv und war dort von 1814-1848 auch Kommandant der Landwehr. Er verfasste viele Artikel über die Geschichte des Illertals und über die der Eidgenossenen und Schwaben im Allgemeinen. 


Dann machten ihm die rebellischen Bellenberger im Jahr 1848 das Leben schwer. 

Johann Michael schreibt über seinen Vater: „Seines Besitzes in Bellenberg entäußerte er sich, als die Unruhen des Jahres 1848 ihm den langgewohnten Aufenthalt verleideten. Er zog sich im Dezember 1849 nach Augsburg zurück, wo er den Rest seiner Jahre verbrachte. Leider verdüsterte sich aber sein Gemüt so sehr, dass der sonst sehr lebensfrohe Mann sich gegen Ende seines Lebens von jeglichem Umgange mit Dritten fern hielt.“

1855 mit 84 Jahren erlag er einem zweiten Schlaganfall. Johann Michael schreibt: „Leider hat er kein Bildnis von sich hinterlassen“.

Mit dem Schlosskauf durch Markus Theodosius III. war unser Ort zum Schauplatz  der Aufzeichnung der gesamten Familiengeschichte der Welser geworden. Pfarrer Seuberth bedauert später, dass das gesellschaftliche Leben mit dem Fortgang von Markus Theodosius zum Erliegen kam. Mit allerlei Augsburger Adelsbesuchen ist es also einmal mondän zugegangen in Bellenberg. 


Übrigens: Das Grabmal der Sabina M… konnte immer noch nicht 100% entziffert werden, es bleibt also ein kleines Restrisiko, dass es doch nicht die (schöne?) Welserin ist. Vielleicht kommt in einer späteren Zeitreise oder auf unserer Infotafel aber noch mehr ans Licht. 

Johann Michael Welser

(1808 Bellenberg-1875 Nürnberg)

Die Welser-Wälzer

Familienforschung in Bellenberg

Das unbekannte Grabmal

Daran erkenn ich meine Pappenheimer...


Ja, woran? Gute Frage. Was ist denn überhaupt ein Pappenheimer? Stolze 178 Jahre lang konnte sich die Mehrzahl der Bellenberger als Pappenheimer bezeichnen, denn sie waren zwischen 1570 und 1748 Untertanen derer von Pappenheim.

Gemeint ist ein Adelsgeschlecht, das es sich auf die Fahne schreiben konnte, über 700 Jahre lang das Amt des Reichserbmarschalles des Heiligen Römischen Reiches in Vertretung des Kurfürsten von Sachsen  innezuhaben.

So trugen die Pappenheimer bei der Krönung des Königs dessen Reichsschwert vor ihm her und ritten beim allgemeinen Krönungsschlemmen mit dem Pferd bis zu dessen Bauch in einen gewaltigen Haferberg. Ein Symbol dafür, dass auch für das königliche Gestüt immer genug Futter vorhanden war.


Aber kehren wir vom Haferberg zurück nach Bellenberg und reisen ins Jahr 1709.Auch hier geht es um Getreide, jedenfalls im Hause Mayer. Es ist der 5. Februar und es fliegt gerade eine Suppenschüssel durch die Luft. Jerg Mayer ist mit seiner Stiefmutter in Streit geraten. Diese fordert, Jerg solle das Getreide vor Ort verkaufen, denn auswärts koste es nur unnütz Zoll. Auch argumentiert sie, dass bei einer langen Verkaufsreise die Wegzehrung mit einberechnet werden müsse. Und wer weiß, wie gut dieser Jerg einst im Futter stand. Aber eben dieser will reisen, etwas sehen von der Welt und das Getreide deshalb auf entfernten Märkten zu Geld machen. Da die Schüssel ihr Ziel verfehlt, fährt Jerg Mayer der Stiefmutter in die Haare und wirft sie gar zu Boden.

Diese rafft sich auf und flieht panisch in das Haus des Amtmannes, dem herrschaftlichen Vertreter des Grafen von Pappenheim in Bellenberg. Über das schändliche Betragen des Stiefsohnes wird nun Gericht gehalten und der Amtmann scheint eine eigene Art von Humor besessen zu haben. Er schickt den jungen Jerg, der keine Geldstrafe zu bezahlen vermag, für diesen Frevel nun auf eine tatsächliche Reise: Nach Pappenheim. Eine dortige Unterkunft wird auch gleich anempfohlen: Drei Tage Burggefängnis, an Händen und Füßen im Stock und einer Vollverpflegung mit Wasser und Brot. Bellenberg – Pappenheim: Zu Fuß sind es drei Tagesreisen! Eine luxuriösere Fortbewegung kann sich der junge Mayer nicht leisten. Also rechnen wir insgesamt mit neun Tagen, dann ist er wieder  zurück und kann die Suppenschüssel abarbeiten.


Dass Bellenberg eine echte Enklave der Pappenheimer war - weit von der eigentlichen Herrschaft entfernt – sehen wir auf der Homannschen Karte von 1738.

Eingerahmt rechts oben im Eck befindet sich die grobe Ansicht unserer Ortschaft. Geographisch gehört sie eigentlich links unten ins Eck, denn immerhin ist diese Karte schon genordet.

Zurück zur Frage: Woran erkennt man nun einen Pappenheimer? 

Zu Ulm erscheint 1627, mitten im Dreißigjährigen Krieg, ein gewisser Peter Hagendorf. Er lässt sich als Gefreiter für das Infanterieregiment des Gottfried Heinrich zu Pappenheim anwerben. Und dort legt er in den kommenden 20 Jahren eine erstaunliche Laufleistung quer durch Europa hin und ist bei vielen epochalen Ereignissen des Krieges zugegen, wie etwa der Plünderung Magdeburgs. Später wird er all dies aufschreiben und verfasst damit das wichtigste Zeugnis eines Söldnerlebens dieser Zeit. Die Eintragungen enden nach einer fantastischen Odyssee unweit des Ausgangspunktes in Memmingen. Man darf annehmen, dass er mit seinem Regiment auch durch Bellenberg gezogen ist, zumal dieser Krieg auch in die Zeit der Pappenheimer Herrschaft fällt.


Da Hagendorfs Dienstherr sogar der wichtigste Vertreter des ganzen Pappenheimergeschlechts gewesen ist, können wir nun das Rätsel der Pappenheimerfrage auflösen.


Woran man einen Pappenheimer erkennt, das wusste nämlich einst der Schiller. Er schrieb ein monumentales Theaterstück über den Feldherren Wallenstein und sein Schicksal im Dreißigjährigen Krieg. Wallensteins bester Kampfgefährte war eben jener Dienstherr Hagendorfs: Gottfried Heinrich zu Pappenheim. Als dessen Kämpen eines Tages den Feldherren fragen, ob dieser gerade mit den feindlichen Schweden über Frieden verhandele, denn man munkele viel und man wolle es lieber selber aus seinem Munde hören, erwidert Wallenstein anerkennend: „Daran erkenn‘ ich meine Pappenheimer!“ Übersetzt: Die reden frei raus! Die wollen aus erster Hand erfahren, was Sache ist. Ein „Daumen hoch“ von Wallenstein! 

Vom alten Glanz aber war im 18. Jahrhundert nicht mehr viel übrig geblieben. So heißt es auf Seite 288 in klagendem Ton: „Bey diesen mißliebigen Fatalitäten und empfindlichen Verlust der so viel 100. Jahr in Ruhe besessenen Pappenheimischen Güther im Algey (…) blieb also dem Hause Pappenheim dieselbsten nichts mehr übrig, als der Fleck und Herrschaft Belleberg (…) an öffters gedachten Iller, oberhalb Ulm.“

Sowohl die Homansche Karte von 1738, wie auch das eben erwähnte Buch von 1739 konnten wir von den Spendengeldern der bisher abgehaltenen Führungen im Original von einem Antiquitätenhändler erwerben. Mit der Rundwegeröffnung im April 2020 werden sie im Rathaus für alle Bürger zugänglich gemacht.

Und noch ein absolut lesenswerter Tipp: Das Tagebuch des Söldners Peter Hagendorf nebst Anmerkungen. Leider ohne direkten Bellenbergbezug.


Karte der Pappenheimischen Besitzungen von XXX Homann aus dem Jahre 1738

Chronik der Pappenheimer „Matthaeus à Bappenhaim“ von 1739

Chronik der Pappenheimer „Matthaeus à Bappenhaim“ von 1739

Tafel 2:

Herrschaftszeiten